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Wilde Ilse: Tellerlecker aus Österreich zu Besuch

Moin Leute, ich grüße Euch wieder. Ich bin so glücklich, dass meine Community seit meinem Rauswurf beim Bridgeclub aufgrund meiner politisch-kritischen Einlassungen so enorm gewachsen ist, dass sie sich inzwischen weit über die Grenzen von Heide hinaus erstreckt bis hin nach Österreich. Es tut gut, überall Menschen zu wissen, die auf Zack sind.

Darum war auch der Kulturschock so groß, den ich letzte Woche erlebt habe, dass ich mich heute noch davon erholen muss.

Ihr wisst ja, dass mein Neffe Ole Professor für Physiologie ist. Da ist es üblich, dass er auch mal Kollegen zu sich nach Hause einlädt.

Seit kurzem hat Ole einen österreichischen Dozenten bei sich zu Gast. „Du musst sofort rüberkommen und uns helfen, wir halten das nicht mehr aus“, rief Ole ins Telefon, als er mich am Dienstag anrief. „Das ist so krass. Der befolgt nicht nur deutsche, sondern auch Umwelttipps des österreichischen Klimaministeriums. Das geht alles gar nicht. Bitte komm schnell“, insistierte er.

„Wie kann ich mir das vorstellen?“, fragte ich noch nach, aber ich hörte nur noch, wie er im Auflegen „Musst du selbst erlebt haben“ sagte.

Von Natur aus neugierig, bin ich also zum Essen rübergegangen. Ole stellte mich vor und ich guckte ihn nur fragend an, denn der Gast aus Österreich machte einen ausgesprochen netten Eindruck, und das nicht nur, weil er sofort vom Tisch aufstand, um mich höflich zu begrüßen. Auch beim Essen fiel mir nichts auf. Es herrschte sogar einigermaßen ausgelassene Stimmung – bis zu dem Moment, als Ole in irritierend süffisantem Tonfall „Wie sieht´s aus? Heben wir die Tafel auf?“ in die Runde fragte. Ich wollte gerade aufstehen, um beim Abräumen zu helfen, da stieß Ole mich unter dem Tisch mit dem Fuß an. „Au!“, rief ich schmerzhaft auf, doch er bedeutete mir mit strengem Blick, mich wieder hinzusetzen. Der Gast sah mich irritiert an. „Mein Ischias zwickt mich beim Aufstehen. Alterswehwehchen. Am besten ignorieren“, sagte ich beschwichtigend und warf meinem Lieblingsneffen einen missmutigen Blick zu, nahm jedoch meinen Teller in die Hand.

Dann passierte es. In dem Moment rief der honorierte Gast mit schriller Stimme aus: „NEIN! Warten Sie doch! Ich spüle schon mal vor“. Ich sah, wie Ole die Arme vor der Brust verschränkte, sich zurücklehnte und mich wissend der Dinge, die da kommen würden, angrinste.

Der Gast riss zuerst mir den Teller aus der Hand und begann akribisch, ihn abzulecken. Dann ging er rum und leckte nacheinander alle Teller ab. Niemand bot ihm Einhalt, ich auch nicht. Ich hatte genug damit zu tun, mein inneres kreischendes Gelächter zu unterdrücken. „Andere Länder, andere Sitten. Also reiß dich bloß zusammen, Ilse. Sonst hängt bei Ole nicht nur der Haussegen, sondern auch die Karriereleiter schief“, raunte ich mir selbst zu.

Währenddessen sahen wir alle schweigend zu, wie der Gast dann anfing, mit dem Messer die Essensreste energisch abzukratzen, die er nicht geschafft hatte abzuschlecken. „Fühlen Sie sich wie zu Hause“, sagte Ole, ging in die Küche und kam mit Abwasch-Gummihandschuhen zurück, nahm mit angewiderter Miene das „vorgespülte“ Geschirr und stellte es ins Spülbecken.

„Wieso sagst du nichts?“, fragte ich ihn, ihm in die Küche folgend. „Naja, er kann nichts dafür“. „Wieso denn das, der Mann ist erwachsen“, entgegnete ich verwirrt. „Du bist doch sonst nicht so schüchtern. Jetzt mach mich nicht schwach“, sagte ich und versetzte ihm mit dem Ellenbogen einen Stoß.

„Naja, weißt Du. Das Klimaministerium in Österreich, unter anderem verantwortlich auch für angewandte Forschung und Technologie-Entwicklung, hat da so Umwelt-Tipps an die Bevölkerung rausgegeben. Man solle auf jeden Fall nicht mit warmem Wasser vorspülen, Essensreste sollen mit dem Besteck abgekratzt werden, und in jedem Fall müsse verhindert werden, ununterbrochen das Wasser fließen zu lassen. Das nennt sich dann behutsamer Umgang mit Warmwasser. So wie bei uns: (Kalt) Duschen statt Baden, oder sich nur an bestimmten Körperstellen waschen ist da die Direktive. Dagegen ist doch das Abschlecken mal eine richtig energiesparende innovative Idee – sagt der Kollege“.

„Jetzt hör mal, das ist doch ekelig. Hygiene steht doch auch ganz weit oben, oder etwa nicht?“. Ole stöhnte nur auf. Gnadenlos machte ich weiter. „Jetzt ernsthaft. Was ist denn das Nächste? Vielleicht schauen wir auf Social Media nur noch Hunde- und Katzenvideos, um uns abzugucken, wie man am besten Geschirr ableckt, oder wie“? Er stützte seinen Kopf in die Hände und setzte resigniert die Ellenbogen auf dem Tisch ab. „Wirklich, Ole. Jetzt denk´ das doch mal zu Ende. Vielleicht musst du demnächst beim Essen unter dem Tisch sitzen und bekommst nur noch die Teller zum Abschlecken runtergereicht. Oder es gibt bald Essensrationen. Damit man überhaupt gar nicht erst in die Verlegenheit kommt, Geschirr benutzen und abwaschen zu müssen. Dir ist doch spätestens seit heute klar, dass das ein Irrsinn internationalen Ausmaßes ist“. Ole stoppte mich nur mit einem Räuspern und einer leichten Kopfbewegung Richtung Küchentür.

Der Gast stand im Türrahmen und schaute ernst. Hatte er alles mit angehört? Ich verzog das Gesicht zu einem gewinnenden Lächeln – und streckte ihm eine kleine Schüssel mit Essensresten entgegen.

Ich wünsche Euch jedenfalls ein energiereiches Wochenende. Bis nächsten Samstag, Eure Ilse


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