Der Ukraine- / Russlandkonflikt aus der Sicht eines multikulturellen Bürgers im Vergleich zu anderen Identitätskonflikten.
Vorausgehend ist es wichtig, meine persönliche kulturelle Identität zu erläutern, damit auch der multikulturelle Blickwinkel deutlich wird, aus dem ich es dadurch betrachten kann.
An meinem Namen kann man unschwer erkennen, dass er keinen Deutschen Ursprung hat. Viele ordnen ihn einem spanischen Ursprung zu, da er für Deutsche Ohren so klingt. Dem ist allerdings nicht so. Der Name stammt tatsächlich aus der polnischen Kultur und entstand nach meiner Recherche aus einem Geschlecht des polnischen Landadelsgeschlechts mit dem Namen Odrowadz (auch Odrowaz geschrieben) und ist im 15. Jahrhundert entstanden. Wie der Name selbst entstanden ist, konnte ich nicht recherchieren, allerdings dessen Bedeutung. „Las“ bedeutet Holz / Wald und damit geht die Deutung einher: „Der aus dem Wald stammende!“. Was genetisch die seit vielen Jahren bestehende – ebenfalls mit intensiver Recherche verbundene – Erklärungssuche darlegen würde, was es bedeutet sich als Mensch wirklich als Wesen der Natur zu fühlen und warum dies weitestgehend verloren ging. Das soll aber nicht Teil dieses Artikels sein. Wer sich dafür interessiert, findet hier die ausführlichen Ergebnisse.
Dies erläutert allerdings noch nicht den Grund für die besondere Blickweise auf die derzeitigen Geschehnisse im oben genannten Konflikt. Dazu muss man wissen, wie sich das Gebiet der Ukraine und Polen seit Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelt, bzw. verändert hatte. Denn die Heimat meines Vaters und Großvaters war das Gebiet, dass man damals „Galizien“ nannte und sich in dieser Zeit ständig wechselnder „Herrschaft“ unterworfen sah.
So ist mein Großvater unter österreichischer Hoheit geboren worden, die bis zum Jahre 1918 dort herrschte. Mein 2007 verstorbener Vater, der 1920 das Licht der Welt in Lemberg erblickte, wurde unter polnischer Herrschaft geboren. Die Mutter meines Vaters, also meine Großmutter, war eine gebürtige Russin. Mein Vater wurde dann nach der Besatzung Polens durch die Deutschen, ins Ruhrgebiet verschleppt und musste dort in einem Bergwerk Zwangsarbeit leisten. Er musste übrigens, wenn er das Lager verließ, einen Aufnäher tragen, auf dem „Pole“ stand.
Mein Vater war daher Opfer des Naziregimes, weshalb ich absolut empfindlich reagiere und mich hier auch nicht scheue Menschen zur Verantwortung zu ziehen, die mich in eine politische Ecke stellen möchten, welche mit dem Gedankengut dieses Regimes gleichzustellen wäre. Weshalb ich ebenfalls eine absolut sehr empfindliche Antenne dafür habe, was totalitäre Strukturen bedeuten. Denn das habe ich quasi als Erbe in die Wiege gelegt bekommen und mich von Kindheit an damit befasst.
Um hier bald auf das Wesentliche kommen zu können, kürze ich hier einmal ab, denn bis zu dem Zeitpunkt, bis mein Vater meine Mutter kennenlernte, gäbe es noch einiges zu erzählen. Wie man sich denken kann, blieb mein Vater, trotz allem in Deutschland, lernte meine Mutter kennen, die eben von hier stammte. Auch hier gäbe es kulturell noch einiges zu erzählen -von Wurzeln bis nach China. Dies würde aber zu weit führen und sicher mal ein Thema für einen eigenen Artikel wert.
Somit sollte jedem klar sein, dass ich durch die oben erläuterte, multikulturelle „Konstellation“ europäischen und eurasischen Ursprungs, einen besonderen Blick auf den Konflikt habe und nicht erst seit Anfang diesen Jahres mit dem Thema befasst bin.
Diesen Artikel gerade jetzt zu schreiben, wurde von den Vorkommnissen in der Sendung „Markus Lanz“ vom 01.06.2022 -bei der Ulrike Guérot von einer massiven Phalanx rein moralischer Kriegstreiberargumentation, ohne auf die sachliche Ebene kommen zu können, quasi an die Wand genagelt wurde- angeregt. Sie konnte in keiner Weise darlegen, um was es ihr wirklich ging. Sie hat dies später in einem Tweet wunderbar zusammengefasst, um diesen Status Quo zu beschreiben:
„In der Corona-Krise will man um jeden Preis Leben retten und opfert dafür die Freiheit. Im Ukraine-Krieg will man um jeden Preis die Freiheit retten und opfert dafür Leben.
In beiden Krisen gilt als moralisches Verhalten, Andersmeinenden die Moral abzusprechen.“
Zum Glück war es ihr nur 1 Tag später möglich, diese Ansichten ausführlich in einem Interview bei Infrarot (Podcast und Video hier verlinkt) darzulegen. Was aber in diesem Interview hervorstach ist, warum sie sich der Position der kritischen Seite zugewandt hat. Dies hat viel damit zu tun, dass bei dem Thema Europa, welches das Kernthema ihrer Arbeit ist, das Thema der Kultur und der kulturellen Identität zu kurz gekommen ist. Mit dem Gedanken der EU ist quasi Zug um Zug der wirkliche europäische Gedanke, immer weiter in den Hintergrund getreten.
Jetzt können wir den Bogen dahin schlagen, was für mich der Kern des Konflikts der Ukraine ist und der nach meinem Dafürhalten von Profiteuren benutzt wird, um auf Kosten von Menschenleben ihre Macht- und Geldinteressen wieder einmal auszuleben.
Deshalb lasse hier die Gründe für den Maidan auch außen vor und konzentriere mich auf das was danach geschah. Warum haben sich Regionen der Ukraine entschieden sich separieren zu wollen?
Dazu müssen wir uns einen anderen Konflikt in Europa anschauen, der noch nicht allzu lange her ist, aber wieder aus den Köpfen (bis auf die der Betroffenen) verschwunden ist. Nämlich den Wunsch auf mehr Unabhängigkeit von Spanien, der Region Katalonien.
Wir haben vergessen, welche Eskalation hier bevorstand und mit welchen massiven Strafen die so liberale EU, respektive Spanien gehandelt hat, da ein Teil eines Landes mehr Unabhängigkeit haben wollte. Es wurden wegen der als Verfassungswidrig erklärten Unabhängigkeitserklärung hohe Haftstrafen gegen die Protagonisten ausgesprochen. Diese wurden zwar schon kurz danach von den neuen Zentralregierung wieder begnadigt, im Wissen, dass an den drakonischen Strafen festzuhalten zu anhaltenden Unruhen geführt hätte. Bis heute ist dieser Konflikt nicht endgültig gelöst und schwelt vor sich hin.
Eine neue Eskalation ist also nur eine Frage der Zeit. Eine Krise , welche die ganze Nation betrifft (Z. B. Corona), kann sehr dazu beitragen, dass dieser Konflikt im Bewusstsein der Menschen weit nach hinten rückt.
Warum führe ich diesen Konflikt an, um ihn mit dem Ukraine- / Russlandkonflikt zu vergleichen?
Weil beide Konflikte dadurch entstanden sind, dass Volksgruppen sich einer Zukunft gegenübersahen in denen das Gefühl ihrer persönlichen Identität immer weiter an Bedeutung verlieren sollte. Dies äußert sich gerade darin, wenn die eigene Kultur und Sprache angegriffen wird, oder zu verschwinden droht. Das liegt daran, dass der Mensch sich als Rudelwesen eben darüber identifiziert, dass man zu einer überschaubaren Gruppe gehört, die aus einer Historie heraus bestimmte Eigenschaften und Besonderheiten im Wesen, Sprache und Kultur entwickelt haben. Dies geschah immer in kleineren Gruppen, die erst später zu größeren Einheiten zusammengewachsen sind, oder eben zwangsweise einverleibt wurden.
Nichts ist aber für Menschen so schlimm, wie wenn man versucht das zu nehmen, was man als Identität empfindet.
Da muss man sich nicht einmal auf regionale oder nationale Identität beschränken. Gerade ein Thema, welches heute ebenfalls absolut im Fokus steht, ist die persönliche sexuelle Identität, die viele Jahre eben unterdrückt werden musste und sich heute dahingehend Luft verschafft, als dass die Themen sogar für selbst Betroffene überdimensional weit überzogen werden. Aber das ist eben wie bei einem Vulkan, auf dem ein riesiger Stein den Ausbruch dämmt. Das bringt diesen irgendwann zur Explosion.
Vielleicht kann man durch diese beiden Vergleiche besser verstehen, in welchem Identitätskonflikt sich die Teile der Ukraine befanden, die sich ab 2014 immer weiter separiert haben, nachdem ihnen Dinge auferlegt wurden, die das was sie als ihre persönliche Identität empfanden, immer weiter unterdrückt werden sollte. Z. B. die eigene russische Sprache, verschwinden und ihre Kultur ebenfalls immer mehr aufgegeben werden sollte?
Ist es nicht ein nationalistischer Gedanke, wenn man Regionen des Landes, die kulturell anders orientiert sind, ihrer Kultur berauben will? Selbst wenn man bestreitet, dass ab 2014 nationalistische Kräfte die Macht in der Ukraine erlangt haben.
Wie wäre es denn, wenn wir hier in Deutschland auf einmal von Seiten der Bundesregierung bestimmen würden, dass die islamische Kultur nicht mehr gelebt werden darf, wie wir das in der Vergangenheit auch mit der jüdischen Kultur gemacht haben?
Wie wäre es, wenn in Berlin auf einmal bestimmt werden würde, dass der bayrische oder schwäbische Dialekt verschwinden muss, keine eigenen kulturelle Traditionen mehr gelebt werden dürften, wie z.B. der Karneval (Fasching, Fastnacht, Fasnet)? Wie würden diese Regionen dann reagieren?
Die Regionen der Ukraine, welche nicht verlieren wollten, was diese als ihre Identität betrachten, haben daher ihre Eigenständigkeit erklärt. Wohlgemerkt, die Eigenständigkeit und nicht ein Anschluss an Russland.
Wie wäre es für Dich, wenn man Dir erklärt, dass Du das was Du als Deine Identität empfindest, morgen einfach so weggenommen wird?
Wenn man Dir erklärt, Du bist jetzt kein Schwabe mehr, weil Schwabe zu sein nicht mehr Europäisch sei?
Wenn man Dir erklärt, Du darfst Dich nicht mehr als einem Geschlecht zugehörig empfinden, da Du sonst kein solidarisches Mitglied der Gesellschaft bist?
Wenn man Dir erklärt, dass Du kein körperliches und seelisches Wesen mehr zu sein hast, sondern es anzustreben sei, eine digitale Identität anzunehmen, welche Dir zwar jegliche Individualität nimmt, aber Du nur durch das Aufgehen im Kollektiv als wertvolles Mitglied der Gesellschaft gelten darfst?
Klingt abstrus und überzogen? Nur, solange DIR nicht angegriffen wird, was DU als DEINE Identität empfindest.
Warum stehen im Moment so viele Menschen auf und wehren sich in Deutschland gegen die immer totalitärer werdenden Strukturen? Weil sie die Freiheit als einen Teil IHRER Identität empfinden, die man sich mühsam über Jahrhunderte errungen hat und an deren Grundprinzipien jetzt gerüttelt wird, um die Interessen einer anderen Gruppe zu befriedigen. Statt aber jedem Menschen seine Identität zu lassen, wird immer wieder von der Gruppe, welche die Macht besitzt versucht, ihr Identitätsempfinden den anderen überzustülpen.
Man sieht also, dass Konflikte unausweichlich vorprogrammiert sind, sobald man das, was andere als ihre Identität empfinden in Frage stellt, oder versucht es ihnen zu nehmen.
So ist es eben ab Mai 2014 auch in der Ukraine eskaliert. Dies hat alles schon viel früher begonnen, aber hier begann die Eskalation dadurch, dass in Kiew eine westliche Putschregierung installiert wurde, die gegen die Interessen von Minderheiten regierte ( z.B. die Abschaffung der russischen Sprache als Schulfach, Kunst und Kultur). Daraufhin haben diese Minderheiten ein Referendum abgehalten und sich innerhalb der Ukraine als autonom erklärt, was wiederum die Folge hatte, dass sie von staatlichen ukrainischen Truppen und Freiwilligen Bataillone aus dem rechten Spektrum angegriffen wurden. Die aus der Bevölkerung entstandenen Volksmiliz, im Westen als Separatisten genannt, sich verteidigt und bewaffnet hat. Dies führte seit 2014 bis 2021 allein schon zu 14.000 zivilen Opfern in den Republiken Donezk und Lugansk.
Um diesen Konflikt wieder in den Griff zu bekommen, wurde das Minsker Abkommen getroffen, bei dem sich beide Seiten beschuldigen, es gebrochen zu haben. Im verlinkten Artikel, wird es von der „Linken Zeitung“ sehr gut dargestellt, wie der Ablauf war.
Letztendlich war das Argument von Putin, den vom Völkerrecht nicht gedeckten Angriff (so wie die meisten Angriffe der uns verbündeten Staaten und auch von uns selbst, in den letzten Jahrzehnten, nicht vom Völkerrecht gedeckt waren), den beiden Regionen zur Hilfe eilen zu müssen, um weiteres Leid zu verhindern. Das kann man als unrechtmäßig und imperialistisch betrachten, aber müsste dann das im gleichen Zuge auch bei den Kriegen tun, in welchen wir dieses „zur Hilfe eilen“, ebenfalls als Argument genommen haben, um in Ländern einzugreifen, bei denen Gruppen in Gefahr waren, denen wir nahestanden. Sogar das ZDF hat kürzlich einen Freud’schen-Versprecher von George Bush als Eingeständnis eines nicht berechtigten Angriffskrieges gegen den Irak bestätigt.
Solange wir aber mit zweierlei Maß messen. Aggressionen gegen eine Seite schüren, werden wir zu keiner Lösung kommen, welche für ALLE einen nachhaltigen, die Gewalt auflösenden und existenziell notwendigen Status hat.
Frau Guérot drückte es im Interview mit Infrarot sinngemäß so aus: „Um zu einer Lösung zu kommen, muss ich die andere Seite VERSTEHEN, das bedeutet nicht, dass man Verständnis hat. Das sind zwei vollkommen unterschiedliche Dinge. Ein Richter, der ein Urteil zu fällen hat und ein Strafmaß festlegen muss, muss verstehen, warum ein Täter das getan hat. Das bedeutet nicht, dass er für seine TAT Verständnis hätte.“
Ich finde, besser kann man das nicht ausdrücken. Daher ist das Framing eines „Verstehers“ eher keine Beleidigung, sondern eine Bestätigung für jemanden, der in der Lage ist die Dinge in eine für die Diplomatie wichtigen neutrale Bewertungsebene zu ziehen, um dann den Ausgangspunkt für einen Konsens zu erzielen, der für alle Parteien einen Mehrwert darstellt, bzw. bei dem niemand das Gesicht verliert.
Jeder der jetzt denkt, es sei einfach nur wichtig zu gewinnen, dem sei die Frage gestellt: „…und was passiert, wenn man nicht gewinnt?“ Meinst Du, dass bis dahin nicht zigfach mehr Leid entstehen würde und wenn Du verlierst, was passiert danach?
Du darfst Dich daher entscheiden, was Dir wichtiger ist: Mit allen Mitteln gewinnen zu wollen und damit das Ego zu befriedigen, dabei aber zu riskieren, dass das Ego und Du selbst vollkommen zerstört werden könntest, oder einen für alle Seiten tragfähigen Weg einzuschlagen, den man jedoch nur über Verhandlungen erzielen kann.
Die Konsequenz dies nicht zu tun, wäre gegebenenfalls, dass niemand mehr da sein würde, der noch Verhandlungen führen könnte.
Beitragsbild: shutterstock © ogichobanov
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