Last updated on 4. Juni 2022
Leserbrief von K. Schölzel
Beruflich vorausgegangene Situation als sozialpädagogische Fachkraft (meine eigenen Berufsqualifikationen, später im Verlauf):
Gemeinsam mit meinem Bezugskind der Wohngruppe, lief ich durch die Stadt. Ziel war eine Apotheke um ihr Rezept einzulösen. Da ihr allein der Umstand sich in der Öffentlichkeit zu bewegen, Stress bereitet, war das attestierte Befreiungsschreiben von der Maskenpflicht, keine Hilfe, sondern ein zusätzlicher, negativer Faktor (schwere Asthmatikerin müsste reichen, jedoch wiegt die Traumafolgestörung viel gewichtiger bei dieser Befreiung). Um nicht in die Diskussion zu kommen, verzichtete sie freiwillig darauf, mit in die Apotheke zu gehen. Ich erledigte diesen Part also alleine.
Als ich Richtung Tür ging, sehe ich bereits, wie ein Herr und eine Dame vor meinem Mädchen stehen, deren Körpersprache allein, ohne Gesagtes zu hören, klar bedrohlich wirkte. Vor der Tür war diese Bedrohung unmittelbar zu spüren & zu hören, zwar in Form von verbalen Entgleisungen. Beschuldigungen, Abwertung, wurden ihr an den Kopf geschrieen. Auslöser tatsächlich die fehlende Maske.
Sie in völliger Verzweiflung, hielt nur noch ihre Hände vors Gesicht. Bei ihr angelangt hatte ich schon vehement auf mich aufmerksam gemacht, um die Aufmerksamkeit von ihr zu nehmen. Dieses Paar, schätzungsweise Mitte 50, nahmen jedoch kaum Notiz von mir. Schrieen weiter auf sie ein, was für ein asoziales Stück Dreck sie sei, egoistisch, weil sie ohne Maske alle gefährdet und es schien als brüllten sie sich einfach immer weiter in Rage. Sie hatten nicht einen Augenblick, nicht eine Sekunde lang wahrgenommen, dass vor ihnen ein 16jähriges Mädchen gerade an dieser Situation zerbricht. Bevor ich jedoch weiter auf ihrem Niveau einsteigen konnte, packte mich diese 16jährige am Arm, zog mich weg und erklärte mir! „Bitte lass es, die haben auch nur Angst, aber bring mich hier jetzt einfach weg“
In diesem Moment, schaffte es die Dame allen Ernstes, ihre Maske nach unten zu ziehen, um dann was zu tun?… das Mädchen anzuspucken. Dieser Moment, dieses Gefühl, sowas zu erleben, dieses Kind, in meinem Beisein nicht beschützen zu können, war das absolut Schlimmste für mich an dieser Pandemie, vorgefallen im Oktober 2020. Seit da weiß ich wie schlimm diese Pandemie wirklich ist, wie sie genannt wird ist irrelevant, ob im Verlauf mit oder ohne körperliche Symptome, die Pandemie hat rasend schnell um sich gegriffen, DER VERLUST DER MENSCHLICHKEIT, ist die wahre Pandemie.
Und Heute…
• Wir sind nur Dank der Regierung, deren Entscheidungen zu Maßnahmen, Lockdown, Maskenpflicht, die Einschränkungen usw. so glimpflich durch die Pandemie gekommen!
• Diesmal hat es ja wenigstens alle gleich getroffen.
• Sie mussten abwägen, da waren die paar Beschränkungen im Alltag das ja wohl wert, wir haben schließlich Leben gerettet.
So oder so ähnlich klingen bestimmte Floskeln, die seit Beginn dieser globalen Traumatisierung, zum Alltagssprech gehören.
Meine Reaktionen darauf sind mittlerweile wahrscheinlich nur noch wie ein Mantra aufgesagt. Das Gegenüber sucht nur noch ob die unterstützende Bejahung seiner Haltung gegeben ist oder nicht. Erreichen kann ich mit meinen Worten nur noch die Mauern meines Gegenübers, die Codierung der Worte von Andersdenkenen macht ein Durchdringen kaum mehr möglich. Nicht einmal, wenn die Worte weder seine, noch irgendeine andere Haltung anpreisen bzw. abwerten.
„Glimpflich ging es glücklicherweise für viele nach Ansteckung & dem Krankheitsverlauf aus. Lässt sich jedoch der Verlust der Menschlichkeit, der Preis den wir alle täglich dafür bezahlen, rechtfertigen? Mit was sollte dieser Verlust je gerechtfertigt werden?“
„Es ist Alles gesagt, in unzähligen Varianten und wer wollte, konnte sich informieren, in unterschiedlichen Weisen, um Erklärungen zu finden, welche die bestmögliche eigene Haltung erschufen, die eigene Wirklichkeit passend machte.“
„Es ist Alles gesagt und das Gesagte hat uns auf eine Seite gestellt, wo jede Seite dramatische Erfahrungsberichte aufzuweisen hat, die zur Untermauerung dieser Wirklichkeit genutzt wird. Zum Schutzschild dienen diese Erfahrungsberichte ebenfalls, obwohl sie meist von anderen erlebt wurden, trägt man sie wie ein Schild zur Mahnung vor sich her. Ein Schild auf dem ausgewiesen wird, der richtigen Seite zu zugehören.“
„Es ist Alles gesagt und jeder Erfahrungsbericht, erscheint wie eben noch eine weitere Geschichte, die nur in Nuancen nochmal anders klingt, die Inhalte immer weniger die Seele berühren, weil Alles ist bereits irgendwie gesagt.“
Seit über 20 Jahren arbeite ich mit jungen Menschen, in unterschiedlichen Settings. Davon war ich 10 Jahre im Bereich der offenen Jugendarbeit, also Streetwork, Leiterin mehrerer Jugendreferate, wie bei Einzelfallhilfen und als Familienhilfe tätig. Regionalpolitik, galt als Plattform um dort, mit und in den politischen Gremien, die Jugendthematiken in den Blick zu stellen, Teilhabe an der Gesellschaft von jungen Menschen ermöglichen, wo es an dieser Möglichkeit fehlte, das war mein Alltagsgeschäft.
Mit der Geburt meiner Tochter vor 8 Jahren, hab ich mich aus diesem geliebten Arbeitsfeld verabschiedet. Das Kontrastprogramm, die Arbeit in stationären Jugendhilfemaßnahmen, also die Begleitung von Jugendlichen in einer Wohngruppe, wurde meine
neue Berufung. Egal welchen Weg ich beruflich gegangen bin, die Begleitung junger Menschen, war der Antrieb für mich. Heute im Setting einer traumapädagogischen Intensivwohngruppe, gilt es Jugendlichen die Teilhabe am Leben, das Teilnehmen an Alltagssituationen, das Erleben von einem sicheren Ort, die Verlässlichkeit von Strukturen anbieten, ist hier die Teilhabe, die erstmal möglich gemacht werden muss.
Teilhabe an der Gesellschaft ist das Über-Ziel, kein unmittelbares Ziel, oft nicht mal ein Gedanke und wird dennoch so auf den Weg gebracht.
ES IST ALLES GESAGT! ALLE ORDNEN SICH NUN IHRER SEITE ZU
Schlafschafe vs. Coronaleugner!
Es ist Alles gesagt, den Verlust der Menschlichkeit nehmen wir in Kauf, Artikel 1 Die Würde des Menschen, hat doch bisher auch nie wirklich interessiert…
ES IST NOCH LANGE NICHT ALLES GESAGT!
Wenn ich nach all der Zeit in meinem Beruf, ernsthaft hinnehme, dass Ärzte empfehlen welcher Status nötig ist, damit Familien eine gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht werden kann, dann kann ich 20 Jahre die ich als Berufung bezeichnet habe, in die Tonne treten und gebe diese Zeit an die Bedeutungslosigkeit ab.
Wenn nicht ich aufstehe, jetzt etwas sage, Wer sonst hat die Pflicht etwas zu sagen? Wenn nicht meine Expertise Eltern unterstützen kann, wem seine sonst?
…Wenn ich nichts sage, dann sagt das alles über mich, den Wert meiner Tochter für mich, meinen eigenen Wert als Mutter und den Wert meiner Tätigkeit aus. Daher weiß ich für mich:
Es ist Zeit unseren großen Verlust an Menschlichkeit wieder aufzubauen, zu finden und zwar in dem wir respektvoll die Haltung unseres Gegenübers anerkennen, ohne jedoch auch meine Würde aufgeben zu müssen.
Es ist Zeit selbstbestimmt zu entscheiden, wie mein Umgang mit dieser Zeit ist.
Es ist Zeit, unseren Kindern eine Stimme zu geben, damit die Gesellschaft ihnen ihre Würde uneingeschränkt, unantastbar zurück geben kann.
Es ist erst Alles gesagt, wenn jedes Kind seine Geschichte erzählt hat und die unfassbaren Leistungen unserer Kinder, unserer jungen Generation, was ihre solidarische Haltung allen gegenüber betrifft, gewürdigt und honoriert wurde. Sie haben schon bewiesen, dass sie sich der Gesellschaft zum Wohl verhalten können, jetzt hat diese Gesellschaft dafür zu sorgen, dass sie diese Fähigkeiten in freier Entscheidung weiter tragen können.
Beitragsbild: © AlejandroCarnicero
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Zum Verlust der Menschlichkeit kommt jetzt der Verlust von Menschen im wahrsten Sinn dieser Bedeutung hinzu. Der Verlust, den man eben nicht irgendwann nochmal rückgängig machen kann