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“Propaganda” – Wie die öffentliche Meinung entsteht und geformt wird. Von Jacques Ellul. Rezension

Dem Begriff Propaganda (von lateinisch propagare‚ weiter ausbreiten, ausbreiten, verbreiten) haftet inzwischen bereits lange ein bestimmter Ruch an. Für viele Menschen ist Propaganda oder die Bezeichnung eines Menschen als Propagandist deshalb vorwiegend negativ konnotiert.

Doch es gab eben auch eine Zeit, da Propaganda u.a. auch schlicht und für Produktwerbung stand. Und Propagandisten halt Werbende waren.

Wikipedia weiß beispielsweise: „Etwa seit der Zeit der Französischen Revolution wird das Wort im heutigen, weltlichen Sinne gebraucht, also als Bezeichnung für die Verbreitung politischer Ideen. So formierte sich 1790 in Paris der Club de la propagande, eine Geheimgesellschaft der Jakobiner zur Verbreitung revolutionärer Ideen. In dieser Bedeutung findet sich der Begriff heute in vielen weiteren Sprachen.[9]

Denken Normalbürger (vor allem die, welche im Westen sozialisiert wurden) heute an Propaganda, werden sie darunter mit ziemlicher Sicherheit vielfach das Bild von der sowjetischer Propaganda der Kommunistischen Partei, der KPdSU sowie der jeweiligen Bruderparteien in den ehemaligen sich als sozialistisch verstanden habenden Ländern Osteuropas verstehen. Und zwar so, wie es ihnen westliche Politiker und Medien während des gesamten Kalten Krieges immer wieder vermittelt, geradezu einbetrichtert haben.

Viele Menschen werden deshalb wohl kaum auf die Idee kommen, dass auch der Westen – im nicht geringen Maße eben auch die USA – mit Propaganda arbeitete beziehungsweise arbeitet. Weil sie einen womöglich auf den ersten Blick nicht als solche ins Auge sprang.

1962 erschien erstmals das Buch des französischen Soziologen Jacques Ellul mit dem Titel „Propaganda“. 1965 kam eine englische Übersetzung des Buches heraus. Nun ist das wichtige Standardwerk zur Propagandaforschung dank dem Westend Verlag zum ersten Mal auf Deutsch (Übersetzung Christian Driesen) erhältlich. In diesem Werk analysiert Ellul neben den inneren und äußeren Erscheinungsformen und Kategorien von Propaganda ihre soziologischen Bedingungen und Notwendigkeiten sowie ihre psychologischen und demokratietheoretischen Auswirkungen.

Über das Buch

„Erschreckender als Orwell

Die Natur der Propaganda besteht nach dem großen Philosophen Jacques Ellul in der Anpassung des Individuums an eine Gesellschaft, die darauf abzielt, das Individuum dienstbar und konform zu machen. „Mit der Logik, die ein großartiges Instrument des französischen Denkens ist, versucht Ellul seine These zu beweisen, dass Propaganda ungeachtet positiver oder negativer Intentionen nicht nur eine zerstörerische Wirkung für die Demokratie hat, sondern vielleicht die größte Gefahr für die Menschheit der modernen Welt ist,“ schrieb Robert R. Kirsch zum Erscheinen der Originalausgabe 1962 in der Los Angeles Times.“ (…)

Quelle: Westend Verlag

Mag Propaganda neben negativer Wirkungen hie und da auch wirklich oder vermeintlich positive Wirkungen haben (können), es steht fest, was auch Ellul schreibt: Keine politische Partei kann mehr ohne Propaganda auskommen. Sie kann bei den Wählern verfangen oder diese freilich auch abstoßen. Ellul macht ebenfalls klar, dass die Aufwendungen (nicht nur die finanziellen) für Propaganda immer umfangreicher geworden seien bzw. werden. Und das schreibt er in den Sechzigerjahren! Wo es ja zwar auch schon bescheidene Computer gab, jedoch weder das Internet noch die sogenannten sozialen Netzwerke wie heute.

Jacques Ellul arbeitet sehr fein und tiefschürfend bestimmte Unterschiede in der Art von Propaganda und deren Anwendung(en) heraus. Etwa macht er darauf aufmerksam, dass, wenn es zum Beispiel um die Propaganda (Werbung) für Lebensmittel oder Gebrauchsgegenstände diverser Art etc. gehe, eine gewisse Ehrlichkeit unbedingt vonnöten sei. Wer kauft schon eines dieser Produkte wieder, wenn ihm dessen Qualität nicht zusagt?

Ellul macht deutlich, dass auch bei politischer Propaganda durchaus mit Ehrlichkeit gearbeitet werde oder Wahrheiten (oder das, was man für solche hält) verkauft werden. Allerdings wird eben bei ausgeklügelter politischer Propaganda auch gezielter mit Halbwahrheiten und selbst mit Lügen gearbeitet. Wir müssen uns nur die Entstehung – oder muss man eher sagen: der Fabrizierung – von Kriegen anschauen (Wie heißt es nicht: jeder Krieg beginnt mit einer Lüge). Zunächst muss einmal der Gegner (Feind) entschmenschlicht, quasi als böses Tier dargestellt) werden, um gegen ihn zu mobilisieren und die Zustimmung der Bevölkerung zum Krieg zu erlangen.

Nur einmal ein Beispiel aus unserer Gegenwart: „Tatsächlich beschäftigte das Pentagon schon 2009 sage und schreibe 27.000 (!!!) Mitarbeiter, die ausschließlich für das mediale Aufpolieren der US-Kriege zuständig waren.“, schrieb der Anti-Spiegel am 23. Juli 2018).

Der Westend Verlag zum Inhalt des hier zu besprechenden Buches: „Elluls grundlegende Annahme ist, dass Propaganda ein soziologisches Phänomen ist und nicht „etwas, das bestimmte Leute zur Erreichung eines bestimmten Zwecks tun.“ Die technologische Gesellschaft sei Bedingung für die Existenz von Propaganda, und Propaganda stelle im Gegenzug das Überleben dieser Gesellschaftsform sicher. Das politische System, in dem Propaganda existiert, lehnt Elull in seinem Vorwort zur ersten Buchausgabe von 1962 als irrelevanten Maßstab ihrer moralischen Bewertung ab.

Ellul unterscheidet zwischen Agitationspropaganda und Integrationspropaganda. Das Bildungssystem erklärt er zu einer Grundbedingung von Propaganda. Intellektuelle seien außerdem jene gesellschaftliche Gruppe, die am empfänglichsten für Propaganda sei, weil sie sich zu allen „wichtigen Fragen der Zeit“ eine definitive Meinung bilden wolle.“

Nebenbei bemerkt: Kann womöglich der letzte Satz die Reaktionen bzw. Nicht-Reaktionen von Intellektuellen heutzutage und hierzulande samt dem Ausbleiben kritischer Stellungnahmen intellektueller Geister und deren dröhnendes Schweigen, betreffs der Corona-Maßnahmen und der diese teils chaotisch veranlasst habenden Politik erklären? Darüber hinaus haben wir es ja in dieser bald zwei Jahre andauerndem Krise durchaus tagtäglich mit Propaganda via nahezu flächendeckend gleichtönender Medien zu tun.

Bei Ellul lesen wir: „Nicht bestreiten lässt sich die Tatsache, dass es für die heutige Demokratie notwendig ist, »Propaganda zu machen«. Halten wir außerdem dafür, dass Propaganda, nicht vonseiten des Staates, sondern besonders privatwirtschaftlich, mit der Demokratie verbunden zu sein scheint. Historisch betrachtet wird sich überall, wenn das demokratische Regime einmal etabliert ist, Propaganda in verschiedenen Formen festsetzen. Sie lässt sich insofern nicht vermeiden, als Demokratie einen Appell an die Meinung und den Wettbewerb zwischen mehreren Parteien voraussetzt. Um an der Macht zu bleiben, versuchen diese politischen Parteien, Wähler zu gewinnen und Propaganda zu betreiben.“

Ellul hat sich sehr genau mit dem Wesen von Propaganda in der Sowjetunion, China und den USA, aber auch in Frankreich und anderswo befasst. Es wurde untersucht, wie Propaganda „hergestellt“ wird, wie sie auf Menschen wirkt, so dass so von ihr so beeinflusst werden, dass sie diese gar verinnerlichen (manchmal wohl durchaus auch unbewusst), dass sie gehorchen und sich in bestimmte Bahnen lenken lassen. Auch da wiederum lassen sich durchaus wieder Bezugspunkte zur Corona-Krise herstellen.

Elluls Buch ist Ausfluss einer umfangreichen Propagandaforschung. Sie legt aus Propaganda erwachsen könnende Gefahren eines allmählich entstehenden Totalitarismus warnend offen. Sowie die damit verbundene negative Wirkung auf die Demokratie.

Jaques Ellul: „Erinnern wir uns auch daran, dass das Aufkommen der Massen, gerade durch die Entwicklung der Demokratien, den Einsatz von Propaganda hervorgerufen hat und dass sie letztlich eines der Mittel zur Verteidigung des demokratischen Staates sein wird, wie der Appell an das Volk, mobilisiert durch die Propaganda, zeigt, ganz gleich, ob es sich dabei nun um die Verteidigung des Staates gegen private Interessen oder gegen eine antidemokratische Partei handelt. Es ist eine bemerkenswerte und recht erstaunliche Tatsache, dass große moderne Propaganda ihren Anfang in demokratischen Staaten genommen hat.

Während des Ersten Weltkriegs kam zum ersten Mal das ganze massenmediale Spektrum zum Einsatz, die Methoden der Werbung wurden auf die Politik angewandt, und man suchte auch nach den wirksamsten psychologischen Methoden. Zu dieser Zeit war die deutsche Propaganda noch Mittelmaß, und es waren die französischen, englischen und amerikanischen Demokratien, die große Propaganda hervorbrachten. Desgleichen war es die leninistische Bewegung, zu Beginn zweifellos demokratisch, die alle Methoden von Propaganda weiterentwickelt und vervollkommnet hat. Entgegen dem, was man gemeinhin denken könnte, waren es also nicht die autoritären Regime, die als Erste diese Art von Maßnahmen ergriffen, wenn sie sie später auch ohne jegliche Skrupel durchführten. Diese Beobachtung sollte uns dazu veranlassen, über die Beziehung zwischen Demokratie und Propaganda nachzudenken.“

Ein unbedingt zu empfehlendes Werk, dieses Buch. Zugegeben, es ist mit 450 prall gefülltenSeiten, akribisch erforschtem Wissen über Propaganda sehr umfangreich. Das uns betreffs dieses Manipulationswerkzeugs, dem wir alle Zeit unseres Lebens mehr oder weniger ausgesetzt sind, wichtige Informationen vermittelt. Es ist nicht mal eben so weggelesen, dieses Wissen. Doch hat man es einmal geschafft, so verspreche ich, verbucht man dieses fleißig erlangten, erlesenen, Erkenntnisse als großen Zugewinn.

„Für den modernen Menschen ist Propaganda die wahre Schöpferin“, postuliert Ellul, „von Wahrheit. Das bedeutet, dass die Wahrheit ohne Propaganda machtlos ist. Und angesichts der Herausforderungen, vor die die Demokratien gestellt werden, ist es von allergrößter Bedeutung, dass sie ihr Vertrauen in die Wahrheit an sich verlieren und sich die Methoden der unterschiedlichen Propagandaformen zu eigen machen. Andernfalls werden die demokratischen Länder, in Anbetracht der Tendenz heutiger Gesellschaften, den Krieg, der in diese Richtung weist, verlieren.“

Was, wie zu denken wäre, heute wichtiger denn je, wichtiger als zur Zeit, da Ellul, diese Zeilen zu Papier brachte, ist.

Ergänzend zu diesem zweifellos wichtigem Buch – ich möchte sagen, unverzichtbarem Standardwerk in Sachen Propaganda – möchte ich weitere interessante zum Thema passende Bücher empfehlen: „Die Psychologie der Massen“ von Gustave Le Bon, „Propaganda“ von Edward Bernays sowie „Die öffentliche Meinung“ von Walter Lippmann, sowie ein Buch neueren Datums: „Die Propaganda-Matrix“ von Michael Meyen.

Jaques Ellul

Propaganda

Wie die öffentliche Meinung entsteht und geformt wird

Übersetzt von Christian Driesen

Erscheinungstermin: 20.09.2021
Seitenzahl: 450
Ausstattung: Hardcover mit Schutzumschlag
Artikelnummer: 9783864893278

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