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“MACHT. Wie die Meinung der Herrschenden zur herrschenden Meinung wird” – Rezension

Karl Marx wusste schon: „Die Gedanken der herrschenden Klasse sind in jeder Epoche die herrschenden Gedanken, d.h. die Klasse, welche die herrschende materielle Macht der Gesellschaft ist, ist zugleich ihre herrschende geistige Macht“

Daran hat sich bis heute nichts geändert. Gleichermaßen dürfte sich nichts daran geändert haben, dass Vielen das kaum oder eher gar nicht bewusst wird. Sonst würde es wohl viel öfters rappeln im Karton. Dies zu verhindern wissen die Herrschenden. Indem diese von Marx erkannte Tatsache bemäntelt und von ihr abgelenkt wird.

Diese Aufgabe fällt neben Politikern der Regierungsfraktionen – und manchmal sogar Teilen der Opposition – sowie u.a. den Medien zu. Wobei man wissen muss, dass auch die zu einem nicht unerheblichen Teil den Herrschenden, den Wohlhabenden in der Gesellschaft gehören. Und welches Interesse werden sie demzufolge vertreten? Paul Sethe in einem Leserbrief vom 5. Mai 1965 im Spiegel: „Pressefreiheit ist die Freiheit von zweihundert reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten. …“

Heute, muss man wissen, sind es viel, viel weniger als diese zweihundert reichen damals.

Wer die Macht hat, muss die Köpfe beherrschen“

Im Vorwort (S.7) zum hier zu besprechenden Buch „Macht. Wie die Meinung der Herrschenden zur herrschenden Meinung wird“ führen deren Herausgeber Almuth Bruder-Bezzel und Klaus-Jürgen Bruder eingangs ebenfalls – in verkürzter Form – das Marxsche Zitat an.

Und setzen hintan: „Wer die Macht hat, muss auch die Köpfe beherrschen. Es stellt sich immer die Frage, ob und wie das gelingt. Eine wirkliche Meinungsvielfalt ist daher möglichst auszuschalten, vor allem in aufregenden Zeiten, in denen etwas für die Bevölkerungen durchzusetzen gilt.“

Als Leser hat man sofort etwas vor Augen. Nicht wahr? Die Herausgeber merken jedoch an, das Buch sei noch vor der Coronazeit geplant und konzipiert worden.

Das Buch habe also einen anderen Blickwinkel gehabt. Allerdings hätten „aber die Belastungen und Irritationen von uns allen“ das Projekt verzögert. Nichtsdestotrotz fände man „in verschiedenen Beiträgen Spuren dieser Thematik“.

Wobei das Buch aber kein „Corona-Buch“ sei.

Corona als Brennglas

Allerdings ist es nicht verwunderlich, dass „Corona“ – sozusagen als Brennglas – bei dem beiden Herausgebern – wie gewiss auch bei den Leserinnen und Lesern ihres Buches, welche ihren Hausverstand noch nicht auf der Müllhalde entsorgt haben, einiges kenntlich gemacht hat:

„Zu keinem Zeitpunkt aber konnten wir besser sehen als heute, dass die Macht durch die ‚Meinung‘ herrscht, in überwältigendem Ausmaß nur eine offizielle, veröffentlichte Meinung, vorgetragen mit dem Anspruch des wissenschaftlichen Expertentums, unter Drohung hoher Gefahr für Leib und Leben.“

Die Bruders stellen fest: „In der Regel wirkt sie durch Überredung, Überzeugung, Verführung – durch die Register des Redens, der Behauptung, Belehrung, des Zeigens-, und des Versteckens, Verschweigens, kurz: des Diskurses, einfach dadurch, dass man in den Diskurs einsteigt und sich gemäß seiner Regeln in diesem Diskurs bewegt (s.Foucault 1982/1987, S.255). Foucault meinte damals, nur im Grenzfall braucht sie Gewalt, Befehl oder Vorschrift.“ Und die Herausgeber fragen: „Haben wir nun diesen ‚Grenzfall‘?

Und sie geben an, wie verblüffend es für sei zu sehen war, „wie schnell und offenbar weitgehend die Bevölkerungen fast aller Staaten (190 von 193) weltweit sich den Zumutungen der Corona-Pandemie-Politik gebeugt und sie akzeptiert haben.“

Bereitschaft zum Gehorsam bzw. „Mentalität der Angepasstheit“

Sie schreiben (S.8) von „einer entsprechenden Bereitschaft in der Bevölkerung zum Gehorsam: ein Autoritarismus, der nicht mehr der der klassischen ‚autoritären Persönlichkeit‘ zu sein sein scheint, sondern eine Haltung, die denn Versuchspersonen des Milgram-Experiments näher kommt, eine Haltung, die hinnimmt und damit regierungsaffirmative Orientierungen und Argumente unterstützt. Wir könnten hier eher, sinnvollerweise den Begriff der ‚Mentalität der Angepasstheit‘ einsetzen.“

Almuth Bruder-Bezzel beschäftigt im einleitenden Kapitel „Propaganda und Macht“ (S.14) mit der Geschichte der Herausbildung des modernen „Meinungsmanagements“. Sie arbeitet heraus, „welche psychologischen Prozesse und Dynamiken bei den einzelnen Individuen eine Rolle spielen“. Um zu beschreiben, welche Rolle die Entdeckung der Massenseele für die Propaganda spielt (S.19) nimmt sie Bezug auf die Elitendemokratie des antiken Griechenland und unsere Zeit betreffend auf die berühmte Schrift „Psychologie der Massen“ von 1895 Gustav Le Bons.

Des Weiteren verweist sie u.a. auf die Erkenntnisse aus der Massenkommunikationsforschung von Walter Lippmann („The Public Opinion“) von 1922 und Edward Bernays („Propaganda“). Was hochinteressant ist und obendrein dazu animiert, die erwähnten Schriften selbst zu lesen. Lesen Sie, so Sie mögen, meine Rezension zu „Die öffentliche Meinung“ von Walter Lippmann.

Warum die Gedanken der Herrschenden als die eigenen ausgegeben werden

Klaus-Jürgen Bruder beschäftigt sich in seinem Beitrag damit, was für die Übernahme der Gedanken und Idee der Herrschenden durch die Beherrschten entscheidend ist und warum diese dann als die eigenen ausgegeben werden, um ihnen folgen zu können. Wir täten dann so, als ob wir einem Befehl folgten. Bruder: „Dann realisiert sich das Subjekt als Herr seines eigenen Sprechens und Handelns.“

Und weiter: „Die Herstellung dieser Loyalität läuft nicht nur über die Medien, die ‚Meinungsmacher‘ (Albrecht Müller), die ‚Manufakturen des Konsens‘ (Noam Chomsky).“ In Puncto „Loyalität den ‚Oberen‘ gegenüber, dass es schon ’seine Richtigkeit habe, was sie von uns verlangen, spielt zumindest am Anfang eine Rolle, dass die Bevölkerung überhaupt die ‚Angst‘ übernehmen und entwickeln konnte, die Herrschaft braucht, um ‚unliebsame‘ Forderungen durchzusetzen. Wir können nach Milgram (1974) mit der Bereitschaft rechnen, Gehorsam gegenüber autoritären Anweisungen zu zeigen, auch dann, wenn diese im Widerspruch zu den Forderungen des eigenen Gewissens stehen.“

Schule als „Normalisierungs- und Selektionsanstalt“

Neben den Bruders versammelt die interessante Veröffentlichung dreizehn weitere Autor*innen, die das Thema „Macht“ analysieren und auf Spezialgebiete herunterbrechen. So etwa Bildungsexpertin Magda von Garrell, welche die Schule als „Normalisierungs- und Selektionsanstalt charakterisiert“, wo die „mitgebrachten Ungleichheiten durch Gleichschaltung reproduziert und zugleich Grundlagen und Sekundärtugenden geformt“ und „die Kinder auf ihre Rolle von ’stummen Werkzeugen‘ vorbereitet“ werden. (S.10/S.75: „Meinungslernen in der Schule“)

Fremdbestimmte Arbeitnehmer

Was sich in die Arbeitswelt fortsetzt. Um „Stumme Werkzeuge“ geht es nämlich auch bei Werner Rügemer: „Das organisierte, erpresste Schweigen der abhängig Beschäftigten – und ein beispielhafter Ausbruch“ (S.95). Des Weiteren geht der sich als „interventionistische Philosoph“ verstehende Publizist auf den „fremdbestimmten Arbeitnehmer“, der per definitionem des Bürgerlichen Gesetzbuches 2020 zu „weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet“ ist (S.96). Was zur Folge hat (S.96): „Das ArbeitsUnrecht besteht nicht nur in verarmender Niedriglöhnerei und im EU-weit und global organisierten Lohndumping. Working poor – du hast Arbeit, bleibst aber arm.“

Die Herausgeber machen klar (S.11): „Die mit Verschweigen und Lügen manipulativ hergestellte öffentliche Meinung führt dazu, dass die Mehrheit der Bevölkerung aus der Teilhabe ausgeschlossen bleibt, sodass die Machtelite ihre Deutungshoheit und damit ihre Politik gegen den Willen der Bevölkerung durchsetzen und legitimieren kann.“

Moshe Zuckermann analysiert die Orwellsche Umkehrung der Bedeutung von Begriffen am Beispiel des Holocaust-Diskurses, sowohl in der BRD wie auch Israel

Ein wichtigen Beitrag steuerte auch Moshe Zuckermann bei: „Holocaust und „Holocaust“ – eine Meinungsfrage“ (S.153) bei. Dazu schreiben die Herausgeber: „Moshe Zuckermann analysiert die Orwellsche Umkehrung der Bedeutung von Begriffen am Beispiel des Holocaust-Diskurses, sowohl in Deutschland auch Israel, als Möglichkeit, dass das nahende Unglück sich unauffällig heranschleicht, statt mit heftigen Paukenschlag zu beginnen, sodass es den Schein von Routine und Normalität wahrt, und man es ignorant hinnehmen kann.“

Dabei, schreibt Zuckermann, habe „man stets Struktur, Ideologie, Rhetorik und Soziologie des Faschismus im Blick gehabt und sich immer wieder gewundert – wie konnte das nur möglich sein, wie konnte man das sich anbahnende Unheil bloß so ignorant hinnehmen?“ „[S]o, genau wie im eigenen Land zur Zeit entfaltet sich, der Faschismus.“

Betreffs Israel befindet Zuckermann weiter: „Man sieht allenthalben autoritär-diktatorische Tendenzen um sich greifen; man registriert, wie die letzten Reste dessen, was sich einst (verlogenerweise) rühmte, die einzige Demokratie im Nahen Osten zu sein, zuschanden kommen; man gewahrt, wie das bisschen an vermeintlicher Zivilgesellschaft, die man in Israel zu haben wähnte, rapide verrottet und verkommt.“

Wie der Begriff „Verschwörungstheorie“ von der CIA eingeführt wurde und seit 9/11 abermals inflationär angewendet wird

Ein Autorenbeitrag auf seine Weise interessanter wie der vorangegangene! Mathias Bröckers befasst sich (S.166) als sozusagen ausgewiesener Experte für den vom CIA im Zusammenhang mit dem Mord an John F. Kennedy 1963 eingeführten Begriff „Verschwörungstheorie“, der gegen Kritiker der offiziellen Version des des Geschehens angewandt wurde und nun seit 9/11 abermals inflationär benutzt werde.

Bröckers geht in seinem Beitrag ebenfalls auf die Fälle von Julian Assange und Edward Snowden, gegen die – wie die Herausgeber anmerken: „eine gnadenlose Inquisition eingesetzt wird, wie Hannes Sies (S.237) am Beispiel des Umgangs der Mainstream-Medien mit der skandalösen Verleumdung, Verfolgung und Gefangennahme von Julian Assange zeigt; also einer der berühmtesten Journalisten ausgeschaltet werden kann und welche Rolle die Medien dabei spielen.“

Als durch die Beteiligung am ersten deutschen Angriffskrieg seit 1945 die BRD die Unschuld verlor

Ausdrücklich sei hier auch auf den wichtigen Beitrag zum ersten deutschen Angriffskrieg seit 1945 (gegen Jugoslawien) 1999 von Kurt Gritsch (S.191) verwiesen, wo Gerhard Schröder und Joseph Fischer sozusagen dafür sorgten, dass die BRD ihre Unschuld verlor. Nebenbei bemerkt: Kurt Gritsch hat seine Doktorarbeit unter dem Titel „Die Inszenierung eines gerechten Krieges?“ verfasst. Dazu mehr in meinem Bericht über einen Vortrag von Kurz Gritsch vor einigen Jahren in Kassel.

Was, wenn sich Enttäuschungen in den kommenden Bundestagswahlen Luft machen?

Unbedingt möchte ich hier ebenfalls unbedingt auf den Beitrag von Wolf Wetzel „Der Mord an Walter Lübke und die Auferstehung der Untoten“ (S.220) hinweisen. Im Nachgang zu seinen Ausführungen gibt Wetzel zu bedenken: „Aber die Verhältnisse sind mehr als prekär. Die bis heute nachwirkende Finanzwirtschaftskrise 2007, die Wirtschaftskrise 2019 und die Kosten der Corona-Maßnahmen addieren sich zu unglaublichen Summen auf, die sehr bald dort eingetrieben werden, wo eh nicht viel ist. Das Vertrauen in Deutschland ist mehr als geliehen.“

Und er fragt sich (S.234): „Was passiert, wenn sich“ Enttäuschungen in den kommenden Bundestagswahlen „Luft macht und alle abstraft, die dem Wahlvolk nur noch AHA-Regeln erklären wollten?“

„Das Internet als Meinungsbildner“

Verdienstvoll, dass im Buch im Beitrag von Wolfgang Romey „Das Internet als Meinungsbildner“ (S.122) auch auf das Schein-Internetlexikon Wikipeda, welches häufig zur Denunziation von unliebsamen Personen oder Diffamierung von Meinungen benutzt wird. „Der Fall Wikipedia“ (S.127).

Es wird darauf hingewiesen, wie das von Markus Fiedler in seinem Dokumentarfilm „Die dunkle Seite der Wikipeda“ am Wikipedia-Eintrag des Schweizer Publizisten, Historikers und Friedensforscher Daniele Ganser und im Blog „Geschichten aus Wikihausen“ analysiert und nachgewiesen wird. (Anbei mein Beitrag zu Fiedlers Dokumentarfilm.)

Macht macht Meinung

„Mit welchen Mitteln und Techniken werden kurzfristige Meinungen sowie längerfristige Wertmaßstäbe und Weltbilder hergestellt? Klaus-Jürgen Bruder und Almuth Bruder-Bezzel liefern eine Analyse, die die gegenwärtige Situation von Verleumdung, Fake News und Verschwörungstheorien vor Augen hat, dabei aber die grundlegenden Prinzipien und Mechanismen der Beeinflussung und Manipulation an ausgewählten Beispielen untersucht.“

Quelle: Westend Verlag

Unbedingt Leseempfehlung im Sinne von Kants Sapere aude!

Klaus-Jürgen Bruder, Almuth Bruder-Bezzel

Macht

Wie die Meinung der Herrschenden zur herrschenden Meinung wird

Seitenzahl: 256
Ausstattung: Klappenbroschur
Artikelnummer: 9783864891106

22,00 €

Klaus-Jürgen Bruder

Klaus-Jürgen Bruder ist Psychoanalytiker, Professor für Psychologie an der Freien Universität Berlin, Vorsitzender der Neuen Gesellschaft für Psychologie, sowie unter anderem Herausgeber der Schriftenreihe „Subjektivität und Postmoderne“ im Gießener Psychosozial-Verlag.

Almuth Bruder-Bezzel

Almuth Bruder-Bezzel ist Psychoanalytikerin und Lehranalytikerin mit eigener Praxis, sowie Mitbegründerin des Alfred Adler Instituts Berlin. Sie hat unter Arbeiten zur Geschichte und Theorie A. Adlers und zu psychologisch-gesellschaftskritischen Themen wie etwa Arbeitslosigkeit, Rechtspopulismus, neoliberales Subjekt und Feminismus geschrieben.

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