Leserbrief: “Den Jungen nichts verwehren”
Friedrich Mayer (80), Meisenheim am Glan (zuerst im Bad Kreuznacher öffentlichen Anzeiger erschienen)

Um unser Leben gegen den aggressiven Virus zu schützen vor Infektion, Krankheit oder Tod, ist das öffentliche Leben lahm gelegt. Täglich wird auf der ersten Seite der Zeitung die Anzahl der Infektionen genannt und die Anzahl der Corona-Toten. Mit Erschrecken hören wir von den Zuständen in Südeuropa und versuchen mit allen Mitteln Leben zu schützen.
Was ist das eigentlich? Leben.
Leben – das ist mein persönliches Leben mit Gesundheit und Krankheit von der Geburt bis zum Tod. Aber – was bin ich ohne die anderen, ohne meine Freunde, meine Eltern, meine Geschwister, meine Kinder? Leben ist Kommunikation untereinander, Begegnung und Austausch miteinander bei Gesunden wie bei Kranken. Das Netz des Miteinander im Reden und Schweigen, bei Arbeit, Spiel, Fest und Feier – das ist Leben.
Diese Ganzheit scheint völlig aus dem Blick verschwunden. Ängstlich ist der Blick auf den Corona-Virus fixiert. Nicht die Zahl der Erkrankten wird gemeldet, nur die steigende Zahl der Infizierten, auch derer, die keinerlei Symptome aufweisen – und die der Toten. Und das sind vornehmlich „Alte“. Bei den „Jungen“ – heißt es – nähme die Krankheit in der Regel einen schwachen Verlauf. Mich hat sehr befremdet, als gesagt wurde, die einschneidenden Maßnahmen müssten ergriffen werden, um die „Alten“ zu schützen.
Ich gehöre zu den „Alten“. Sehr befremdet hat mich, als gesagt wurde, um der Gerechtigkeit willen dürfe man bei den Einschränkungen zwischen „Jungen“ und „Alten“ keine Unterschiede machen. Das sei diskriminierend.
Mir fällt auf, dass immer öfter Gerechtigkeit als Gleichheit verstanden wird. Ich bin aber den Jungen nicht gleich. Ich bin alt, schwächer, anfälliger, dem Tod näher.
Es gibt keine Gleichheit. Wie kann ich, der ich mich mit dem Sterben vertraut mache, den Jungen, die ins Leben hineinwachsen oder denen, die kraftvoll mitten im Leben stehen, Leben, Kommunikation und ein lebendiges Miteinander verwehren? Sie sollen leben, arbeiten, spielen … Daran möchte ich mich für meinen Teil beteiligen so gut es geht, und zugleich werde ich dabei den nötigen Abstand halten, um mich zu schützen, – im Wissen, dass mein Weg, der mit meiner Geburt begonnen hat, seinem Ziel immer näher kommt, – eingebettet in ein Größeres, in die Familie, in menschliche Gesellschaft, eingebettet in ein uns alle heilsam Umgreifendes, getragen von „Gott“.
In der Vereinzelung wird Leben einsam. Leben gibt es nur gemeinsam als ein lebendig pulsierendes Ganzes.
Friedrich Mayer, Meisenheim
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