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Feuilleton: Gestern abend… von Dorothea Hofmann

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Dorothea Hofmann über das Leben mit drei kleinen Mitbewohnern auf dem Balkon

Endlich fängt es an zu regnen.

Ein paar Tropfen, dann doch mehr – und irgendwann schließlich fängt es an zu donnern. Ich habe die Balkontür geöffnet und sitze weiter am Schreibtisch. Dann sehe ich es: das dunkle Eichhörnchen kommt, ganz in Eile, rennt im Regen quer über den Balkon, bis hin zum Sanddorn, den Stamm hoch, dann dreht es sich um, schaut mich eine Weile an … und dann verschwindet es auf der mir abgewandten Seite, unter den alten Ästen und dem Sackrupfen, hinter dem großen Blumentopf.

Es vergehen ein paar Minuten. Und dann höre ich wieder kleine Krallenfüßchen: das große rothaarige Eichhörnchen kommt auch herbeigerannt, noch viel eiliger – schließlich regnet es inzwischen ja noch dichter – hinüber zum Sanddorn, saust hoch und hinten wieder nach unten, ins Trockene, nach Hause.

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Ja, „nach Hause“, mein Balkon ist für die Eichhörnchen nämlich „daheim“. Sie wohnen hier schon seit Anfang des Jahres, haben ihren Kobel, also ihr „Haus“ aus den Zweigen meines Sanddorns gebaut, der sich offenbar hervorragend dafür eignete, und deswegen jetzt ganz seltsam asymmetrisch zerbissen ausschaut. Und die beiden, das rote und das schwarzbraune Eichhörnchen haben auch schon ihren ersten Wurf bei mir am Balkon erzogen: eine rotes, ein rotbraunes und ein schwarzbraunes Hörnchen tauchten auf in der Mitte des März, noch ganz tapsig in den Blumentöpfen an allem herumknabbernd.

Am liebsten alle zusammen, was natürlich sofort Streit ergab, wenn einer den anderen am Schwänzchen zog. Ich weiß jetzt, daß die Eichhörnchenkinder ein ganz hohes Fiepsen ausstoßen, wenn sie sauer sind, und das sogar erstaunlich laut. Nach zwei Wochen etwa hatten sie auch heraus, auf die Nachbarbalkone zu springen: das ist ungefähr fünfmal die Länge ihres Körpers, ohne den Schwanz gerechnet, und das im fünften Stock! Kein Problem. Dann lernten sie auch die Feuerleitern zu benutzen und sogar die Wand hinauf und hinunter zu klettern. Ihr Radius also wuchs, aber die von mir ausgelegten Walnüsse und Möhrenstücke waren doch jedes Mal schnell weggefuttert.

Und jetzt, nach fünf Wochen können sie offenbar alles, was junge Eichhörnchen können müssen. Jetzt scheinen wieder nur die „Alten“ hier zu wohnen. Die haben schon wieder ihren Kobel verschönert. Ich warte auf den nächsten Wurf. 

© Dorothea Hofmann, Ende April 2020

Quelle: Bildarchiv Frische Sicht / ©Dorothea Hofmann

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