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Ein Weihnachtsmärchen – Teil 2

Die Autorin Kathrin Feldmann beschreibt in einer dreiteiligen Kolumne ihren Neustart im Tinyhouse. Die Krise als Chance.

Inzwischen ist es vollbracht!

Und auch dieser Weg bis hierher ist gepflastert von wundersamen Fügungen:

Unser Rührgerät hatte seinen Geist aufgegeben – ein nur ein Mal zuvor benutztes lag zum Verschenken am nächsten Morgen auf dem Treppenabsatz.

Ich brauchte ein sehr schmales aber hohes Regal – und fand dies tags drauf in der neuen Bleibe meines Sohnes.

Ich musste Pakete verschicken – am Postschalter, vier Tage vor Weihnachten kein einziger Mensch! Als ich mich zum Gehen umwandte, hatte sich eine lange Menschenschlange hinter mir gebildet, das Gleiche in der Bank. Ich stelle mir die schelmische Freude von unsichtbaren Wesen vor, die das für eine Warteschlangenphobikerin wie mich eingefädelt haben.

Ich bremse kurz vor Radarblitzern ab, treffe zufällig auf der Straße wertgeschätzte, lange nicht gesehene Bekannte, Schüler und Klientel sagen in Momenten ab, in denen mir nicht nach unterrichten oder beraten ist, Menschen schenken mir Geld. Ist es so, in der “neuen” Welt? So mühelos und freundlich?

Mir scheint, ich muss mich nur dem Lauf der Dinge überlassen mit größtmöglicher Offenheit, wie und wann etwas geschieht, eine klare Vorstellung im Sinn – und schon passiert es, wie ich möchte und brauche!

So auch in Sachen neuer Lebensort:

Nachdem ein versierter Begutachter die Bausubstanz meines Wagens für in Ordnung befunden hatte, erwarb ich meine mobile Immobilie endgültig und holte Angebote für den Transport zu meinem etwa 100 Kilometer vom jetzigen Standpunkt des Wagens entfernten Platz ein.

Über Vermittlung aus Regensburg machte mir ein Transportunternehmen ein überzeugendes Angebot. Als ich mich nur 3 Tage später kurz vor vereinbarter Abtransportzeit am Wagen einfand, war der Platz bereits geräumt und mein Wagen den steilen Berghang von einem heimischen Bauern mit dessen Traktor bis zur Hauptstraße gezogen worden, um auf den Sattelschlepper verladen zu werden. Es stellte sich heraus, dass der Sitz des Transportunternehmens im Nachbarort ist – und dies, wo ich doch via Regensburg gebucht hatte – und der Ort und Gegebenheiten bekannt waren, die Herren hatten daher alles Nötige vorab veranlasst.

Der Vorbesitzer des Wagens hatte im Inneren des Wagens den Ofen umgelegt und alles Weitere für den Transport vorbereitet. Im Wagen fand ich einen Koffer, darin eine mit Halbedelsteinen gefüllte Infrarotmatte, die mich wärmen und stärken solle – Geschenk vom Vorbesitzer. Was für ein Glück!

Eine Stunde später schleppte der Bauer meines neuen Platzes den Wagen durch die Siedlung, dann über Pferdekoppeln und Kuhweiden an seinen Zielort. Alles derart unkompliziert, freudvoll und zügig!

Wenige Tage später waren Außenküche und Duschplatz mit Komposttoilette gebaut und der Holzvorrat für den Winter gestapelt, immer wieder kamen Menschen um zu helfen. Lichte, frohe Begegnungen in dieser finsteren Zeit!

Ich gab dem Wagen innen neue Anstriche, baute mein Hochbett in der alten Wohnung ab und hier wieder auf – die Abmessungen wie maßgeschneidert – ebenso wie die meiner Regale, die unter dem Bett den perfekten Platz fanden, und weiterer Möbel, bis hin zu den Stoffen aus der Provence, die, ursprünglich als Tischdecken gedacht, nun als Vorhänge vor den Fenstern hängen.

Je mehr der Wagen sich füllte, desto größer schien er zu werden.

Nur das alte, aus drei Teilen zusammengestöpselte Stromkabel von der etwa 120 Meter entfernten Steckdose bis zum Wagenplatz verursachte Kurzschlüsse aufgrund eindringender Feuchtigkeit. Die angefragten Elektriker weigerten sich, mir hier ein Kabel zu legen, das sie sicherheitstechnisch nicht abnehmen könnten. Als ich tags drauf in einem Musikstudio zu einem Vorsingen antrat, verließ eben ein Elektriker den Raum. Ich lief ihm nach, beschrieb mein Anliegen, er fand eine Lösung und nun gibt es sogar verlässlichen Strom!

Immer wieder halte ich kurz inne um zu danken. Zu staunen. Nicht zu verstehen, wie all dies möglich ist – und doch zu verstehen. Es muss mit Tätigsein zu tun haben, Tun statt nur Vor-stellen und Nach-denken, und mit Loslassen von Veraltetem, mit Mut zu Aufbruch und Neubeginn und dem unverrückbaren Vertrauen in den bestmöglichen Lauf der Dinge. All dies fiel mir jetzt nicht schwer. Und obwohl ich immer wieder an den Rand der Erschöpfung geriet in diesen Zeiten voll von Organisation und Bewegen meiner Habseligkeiten von hier nach dort, gab es stets sofort Angebote und das Dasein von Menschen, die mich stärkten und für das Nötige sorgten, den nächsten Schritt mit mir gingen.

Als ich während meiner ersten Schwitzhüttenerfahrung, die in diese Zeit fiel, für all die Geschenke und Wunder und Hilfen mit meinem Leben, das ich fortan geben wollte, danken wollte, wie ich in einem Moment der Euphorie gesprochen hatte, erlitt ich einen Kreislaufkollaps. Mein Herz schlug nur noch schwach, ich sah und hörte die Menschen um mich von weit weg wie durch einen Tunnel aus bläulichem Nebel, und war nicht zur kleinsten Bewegung mehr fähig. Eine wachte über mich, während eine Andere Elektrolytinfusionen bei einer Ärztin holte und mir verabreichte. Meine Angst, in vollkommenem Kontrollverlust derart auf die Hilfe anderer Menschen angewiesen zu sein, konnte sich verabschieden. Der Respekt vor Worten, die ich spreche, nahmen ihren Platz ein, ebenso wie eine behutsame Demut vor dem Wert des Lebens und größerer Achtung vor den Menschen um mich herum und ihrem Können und Tun und Dasein.

Inzwischen lebe ich seit 10 Tagen mit Hund und Katze in meinem neuen Zuhause.

Ich wartete auf den Schmerz der Trennung vom Gewohnten und Bekannten und Bequemen, und allem voran meinen Kindern, mit denen ich seit 18 Jahren nie länger als höchsten ein Mal im Jahr 14 Tage getrennt gewesen war. Oder auf eine Art Euphorie, nun tatsächlich hier angekommen zu sein, an diesem Ort, der mir alles bietet, was ich mir je erträumte, und noch viel mehr und besser als ich dies hätte tun können. Doch nichts dergleichen geschieht bislang. Es ist unspektakulär ruhig in mir. Gleichmäßig fließe ich durch die Hektik der vorweihnachtlichen Tage, vorbei an Nachrichten von Verordnungen, die mich schockieren, wenn sie mich streifen, von all diesem Wahnsinn, in dem ein Großteil der Menschen zu ertrinken droht, von einem unfassbaren, fast faschistisch gefärbten Angriff auf meine Person, der mich ahnen lässt, wie es den Verfolgten in den 30er Jahren ergangen sein muss, nachdem ich es wagte, mich mit Tuch vor Mund und Nase statt Maske in der Öffentlichkeit aufzuhalten.

So schnell, wie es mir in den Körper schießt, so schnell strömt es wieder heraus. Denn es gibt diese heilsame Umgebung hier, die Bäume in ihrer filigranen Winternacktheit, Vögel, Kühe, Ziegen um mich herum, der Fluss und ein Teich, die Sterne nachts, wenn ich gelegentlich aus meinem warmen Bettnest in die Kälte hinaus muss, die erstaunlicherweise gar nicht kalt ist, die sanften Farben des Himmels, wenn das Licht erwacht, die Wintersonne, die sich nach frostiger Nacht durch den Nebel schiebt und den Reif auf den Grashalmen millionenfach glitzern und funkeln lässt, die Rehe, die am Waldrand äsen neben dem Fasanenpaar, das in hastigen Schritten über die Äcker trabt, und die Amseln, die sogar im Winter singen. Und all die Menschen um mich herum, mit denen ich mich liebevoll verbunden fühle, mit denen ich lebe und bin in gegenseitigem Unterstützen und Ermutigen – überlebenswichtig, dieses Miteinander Ähnlichschwingender!

Und nun das helle Licht am Nachthimmel: Jupiter ganz nah an Saturn. Seit dem 21.12! Verheißungsvoll ermutigend!

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Christine Müller
Christine Müller
2 Jahre zuvor

Für Kathrin Feldmann
Liebe Kathrin, Dein Artikel in der ‘Frischesicht’ (Weihnachtsmärchen 1 + 2) ist , einfach mal von der Sprache her, ein Genuss zu lesen. Aber wirklich spannend ist es, den ganzen Ablauf Deiner ‘Verwandlung’ und die Entwicklung Deiner Gefühle mitzuerleben. Vielen Dank, dass Du das uns allen mitgeteilt hast. Alles Gute! Christine Müller (Freundin von Christine aus I. in Bayern.)

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