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Ein Weihnachtsmärchen – Teil 1

Die Autorin Kathrin Feldmann beschreibt in einer dreiteiligen Kolumne ihren Neustart im Tinyhouse. Die Krise als Chance.



Als Kind wollte ich Zigeunerin werden oder Lady Diana.
An der Zigeunerin reizte mich das freie zwanglose Leben voller Musik, Melancholie und Wildheit in Gemeinschaft Gleichgesinnter. Als Lady Diana saß ich im Auto meiner Eltern und suchte mir von hier aus verschnörkelte Jugendstilvillen aus, umgeben von verwunschenen Gärten.

45 Jahre später ändert sich quasi über Nacht mein Leben ebenso wie unser aller Leben.
Ende März versinkt unter dem Deckmantel Corona unsere altbekannte Welt so wie wir sie kannten, nichts ist mehr wie es war, und dachten wir damals noch, es wäre vorübergehend und lediglich zu überdauern, so wissen wir inzwischen, dass wir auch weiterhin auf Altbekanntes nicht wieder werden zurückgreifen können.

Mit einem Schlag wird mir der Zutritt zu den Kindergärten und Einrichtungen verwehrt, in denen ich seit Jahren mit Kindern musiziere, improvisiere, Theater spiele, meine Chöre und Ensembles darf ich nicht mehr live leiten, Konzerte werden abgesagt. Die Miete für die traumhafte Altbauwohnung, die ich nach einer Eigenbedarfskündigung zusammen mit meinen Kindern, Hund und Katze erst vier Monate zuvor bezogen hatte, ist nur mehr unter Zuhilfenahme von Erspartem zu finanzieren.

Die Zeit bis zu den Sommerferien überbrücke ich mit Zoom-Meetings, die sich zunehmend ineffektiver gestalten, weil die Kinder sich nach 3 Monaten mit dieser Art von Setting überfordert zeigen und auch meine Chordamen sind nicht wirklich glücklich mit dieser Art Online-Proben , weil sie ohne Nebensitzerin ihre Stimmen nicht halten können und zusammensingen das System sprengt.

Wie alle Musiker versuche ich es mit gestreamten Wohnzimmerkonzerten, die die Sehnsucht nach Liveauftritten mit direktem Publikumsaustausch nur schüren, und auch die von mir in meinem Wohnviertel initiierte abendliche Balkontanzviertelstunde, bei der nur anfänglich ein paar Nachbarn müde mitgrooven, verliert bald an Reiz.
Nachdem meine anfängliche Schockstarre sich immer öfter in vulkanartigen Emotionsausbrüchen entlädt, heuere ich ein paar Münchner Musiker an, auf dem Odeonsplatz mit mir musikalische Versammlungen abzuhalten, die auf sanfte Art und Weise demonstrieren sollen, dass Musik nicht verzichtbar, Angst aber durch sie zu lindern sei.

Es waren große und zeitaufwendige Aktionen mit bis zu 50 Musikern verschiedenster Genres, die ich ins Leben gerufen hatte und uns an selbigem hielten, weil das Miteinandermusizieren und auf diese Weise kommunizieren und zusammenkommen uns Musikern Freude schenkte, die nicht selten an Euphorie grenzte, und ein Hoffnungslicht in uns entzündete in dieser so plötzlich so düster gewordenen Zeitenwende.

Dann kam der Sommer und mit ihm die sogenannten Lockerungen, und nun steht der Winter vor der Tür und mit dem letzten Lockdown light lösten sich auch die letzten Reste meiner noch verbleibenden Arbeitsfelder auf, da Singen inzwischen als lebensgefährlich eingestuft wird.
Statt darüber zu verzweifeln, breitete sich erstaunlicherweise eine friedlich abwartende Ruhe in mir aus. Hatte ich mich noch bis vor ein paar Tagen quasi rund um die Uhr mit Coronathemen beschäftigt, wurde meine Fassungslosigkeit gepaart mit ständig neuen und sofort wieder verworfenen Ideen, wie dem Wahnsinn Einhalt zu gebieten sei, abgelöst von stiller Neugierde, was mit den Menschen um mich herum geschah – und zusätzlich, was in mir selbst zum Vorschein kam.

Ich beschäftigte mich mit Phänomen der Innen- und Außenwahrnehmung, überprüfte meine Bewertungskriterien, die sich zeitgleich mit diversen kleinen und größeren Ängsten immer weiter wie von selbst auflösten und erfuhr in einer lichtvollen Nacht, dass mein Ich sich auf einen Punkt reduzierte – ein Ruhepol, wie das Auge im Sturm, um welchen das Leben in buntesten Farben und Formen tanzt, wie ein sich immer schneller drehendes Karussell, deren Stromzufuhr ich aber jederzeit eigenmächtig kappen kann.
Von diesem Moment an überschlugen sich die Ereignisse. All meine langgehegten Träume und Visionen wurden innerhalb weniger Wochen Wirklichkeit, meine Wünsche erfüllten sich prompt und sofort, so dass ich nun dabei bin in ein Leben zu treten, das meine kühnsten Erwartungen und Vorstellungen weit übertrifft. Niemals hätte ich so passgenau planen können, wie in einem Uhrgehäuse greifen die Zahnräder minutiös ineinander und bringen immer weitere Wunder in perfekt passendem Timing hervor.

Schon im Frühjahr hatte ich zunächst aus reiner Neugierde im Netz nach Bauwägen gesucht. Einer von ihnen, ein ehemaliger Möbelwagen von 1962, 8 Meter lang, 2,30 breit, mit Vorbau, gut isoliert mit natürlichen Dämmstpoffen und mit Eichenparkett und Holztäfelung, sogar Strom, Steckdosen, Licht gibt es, gefiel mir besonders. Ein paar Wochen später folgte ich dem Impuls, diesen Wagen zu besichtigen. Ich fuhr nach Wasserburg, wo er in idyllischer Lage auf seinen neuen Besitzer wartete, und wusste sofort, dass ich keine weiteren mehr anzuschauen bräuchte, sogar der Preis gestaltete sich nach meinen Vorstellungen.

Ich begann nach einem passenden Platz zu suchen und stieß immer wieder auf Begrenzung und Desillusionierung, nachdem das bayerische Recht alles daran zu setzen scheint, ein derartiges alternatives Leben abseits des Mainstream zu unterbinden.

Dann wendete sich das Blatt prompt: Erloschene Kontakte belebten sich wieder, alle angesiedelt rund um den Ort, der meiner werden sollte.

Eines Freitags erreichte mich das Foto eines Tinyhouses inmitten eines Feldes an einem Fluss. Eine langjährige Freundin war daran vorbei spaziert und hatte spontan den Besitzer des Geländes aufgesucht, um ihm meine Geschichte zu erzählen und zu fragen, ob ich meinen Wagen auf das Gelände stellen könne. “Wenn sie nirgends anders unterkommt, nehme ich sie auf”, so seine Antwort.

Schon am nächsten Morgen saß ich vor ihm und erfuhr, dass das Tinyhouse, das dort drei Jahre gestanden hatte, schon verkauft sei und in den nächsten 10 Tagen abgeholt würde. Strom gibt es und Wasser und Gemüse und Kräuter frisch vom Feld und einen Teich, und ja, baden dürfe ich darin auch. Und im Übrigen habe er schon am Vorabend gewusst, dass ich kommen und bleiben würde.

Ich kündigte sofort meine Wohnung, suchte nach Nachmietern, die bereit wären, die Dinge zu übernehmen, die ich nicht mitnehmen würde können und wollen, wurde fündig und begann mich der nur wenige Wochen dauernden Odyssee an Planung und Organisation zu überlassen, an deren Ende mein Leben in vollkommen neuen Gewässern fließen sollte.

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