1

Anno Mungen: „Hier gilt’s der Kunst“. Wieland Wagner 1941-1945. – Rezension

Schon das Cover des hier zu besprechenden Buches triggert die Leser. Jedenfalls so diese, welche halbwegs im Bilde sind über die berühmte Familie Wagner. Da war doch was! Ja, die engen Beziehungen der Familie zu Adolf Hitler. Daran ist kein Vorbeikommen. Auf dem Cover abgebildet ist Wieland Wagner, der sich bei Adolf Hitler eingehakt hat.

Zu diesem Titelmotiv heißt es: Adolf Hitler mit den Enkeln Richard Wagners in Bayreuth,1936. Links: Wieland Wagner und rechts Wolfgang Wagner. Aha, also doch keine Fotomontage! Wolfgang Wagner wurde offenbar abgeschnitten? Doch nein: schaut man genauer hin, bemerkt man die rechte Hand Wolfgang Wagners, welcher sich an Hitlers linken Arm einhakt hat. Zu sehen nur, wenn man das Buch aufschlägt und die Innenseite des Schutzumschlags genauer betrachtet. Dortselbst ist Wolfgang nur schemenhaft durch den weiß gehaltenen Text hindurch auf schwarzem Untergrund wahrzunehmen.

Klar: Es geht ja in Anno Mungens Buch „Hier gilt`s der Kunst“ ( Evchens Ausspruch im 2. Akt der Meistersinger von Nürnberg, welcher dem „Neubayreuth“ zum Motto diente) auch um „Wieland Wagner 1941 bis 1945“. Vor 70 Jahren, nämlich im Jahr 1951, fand die Wiedereröffnung der Bayreuther Festspiele nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs statt. Als einer der wichtigsten Protagonisten von „Neubayreuth“ gilt Wieland Wagner. Damit gedachte der Wagner-Clan vermutlich in erster Linie daran, die Berührungen mit nationalsozialistischer Politik und den wichtigste Köpfen der Diktatur – vornweg Adolf Hitler – wennschon nicht ungeschehen, aber dennoch so gut es eben ging mit Motto „Hier gilt´s der Kunst“ davon abzulenken.

Über das Buch

Familiengeschichten

Im Oktober 1923, als Wieland Wagner sechs Jahre alt ist, erhalten die Wagners überraschenden Besuch in der Bayreuther Familienvilla. Adolf Hitler besucht die Eltern und den Onkel Houston Stewart Chamberlain, vor allem aber das Grab des Großvaters. Der aufstrebende Politiker pflegt eine ausgeprägte Leidenschaft für die Oper, Richard Wagner und die Idee des Gesamtkunstwerks. Mutter Winifred wird politisch aktiv und hält flammende Reden auf den Diktator in spe. Im Sommer 1925 erlebt Hitler am 28. Juli seine erste Bayreuther Götterdämmerung, er ist wie berauscht: Oper als Droge. Wolf, wie die Kinder Hitler nennen, ist jetzt Teil des Clans, ein väterlicher Onkel, der ab 1930, dem Todesjahr von Siegfried Wagner, zum Ersatzvater avanciert. 1945 liegt Bayreuth in Schutt und Asche. Wagner ist dennoch schon 1951 wieder als Regisseur und Bühnenbildner tätig und zusammen mit Bruder Wolfgang leitet er nun die Festspiele. „Neubayreuth“ findet mit dem Motto „Hier gilt’s der Kunst!“ eine Formel fürs Vergessen. 70 Jahre später wirft der Musik- und Theaterwissenschaftler Anno Mungen ein Licht auf die dunkelsten Jahre der Festspiele sowie der Opernhäuser in Nürnberg und Altenburg. Er beleuchtet das Zusammenspiel von Krieg und Kunst, von Politik und rücksichtslosem Streben nach Erfolg.

Quelle: Werbetext zum Buch (Westend Verlag)

Wie bereits bemerkt: Wenn es um die berühmte Wagner-Familie geht, ist kein Vorbeikommen an Hitler und dem Dritten Reich und die damit verbundenen Gräueltaten. So ist denn auch dem Buch vorangestellt ein Zitat von Peter Adam (aus „The Arts of the Third Reich“, London 1992, S. 9):

„One can only look at the art of the Third Reich through the lens of Auschwitz.“

Autor Mungen sieht Wieland Wagner so: „ein bis in unsere Tage gefeierter Theatermann und Regisseur“. Mungen: „Ohne ihn wäre die Kunstform Oper, so wie sie sich bis heute entwickelt hat, in Deutschland nicht denkbar.“

Nun, das könnte, müsste man auch von Walter Felsenstein (gründete die Komische Oper Berlin) behaupten. Für seine spezielle Art der Opernarbeit machte er den Begriff Musiktheater populär und setzte neue Maßstäbe in der Opernregie. Wobei er betreffs seiner Inszenierungen Anleihen beim Schauspiel nahm. Daher auch der von ihm benutzte Begriff Sängerdarsteller. Zuvor galt in der Regel, dass die Sängerinnen und Sänger kaum in Bewegung waren, sondern ihre Arien körperlich nahezu unbewegt sozusagen an der Rampe absangen.

Wieland Wagner gelte „zu Recht als der ‚Ahnherr‘ des so wirkmächtigen Regietheaters“. Mungen bezieht sich dabei auf dessen Tochter Nike Wagner, die das 2010 so formuliert habe. Richard Wagner selbst hatte für seine Opern genaue Regieanweisungen verfasst. Auf die Cosima Wagner (zweite Frau Richard Wagners), die nach Richard Wagners Tod ab 1883 bis 1908 die Bayreuther Festspiele geleitet hatte und ab 1886 selbst Regie führte und deren Wahrung streng überwachte. Sie hielt äußerst viel von Werktreue.

Wieland Wagner, der Enkel Richard Wagners wagte Modernisierungen. Er leitete zusammen mit seinem Bruder Wolfgang bis zu seinem Tod die Bayreuther Festspiele (1951 bis 1966). Ab 1951 galt Wieland Wagner bereits als prägender Regisseur.

Wieland Wagner hatte sich in jungen Jahren zunächst mit Malerei und Fotografie beschäftigt, bis er bald zur Arbeit als Bühnenbildner und Regisseur fand.

Tagebuchartige Chronik

Autor Mungen versteht sein in tagebuchartige Abschnitte gegliedertes Buch als Chronik, in welcher er „nur das“ berichte, „was die Quellen auch hergeben“. Welche er im Bayerischen Hauptstaatsarchiv München im einsehbaren Nachlass Wieland Wagners und in Zeitungsberichten des Bayreuther Tagblatts und des Bayreuther Kurier (vormals Bayerische Ostmark) fand.

Mungen bedient sich auch der Tagebuchnotizen von Gertrud Strobel (Archivarin von Haus Wahnfried; welche der nationalsozialistischen Ideologie wohl ziemlich nahe stand). Diese seien, erklärt Mungen in „Quellen und Dank“ (S.152), bisher nicht herausgegeben. Mungen hat sie nach dem Original aus dem Nationalarchiv unter Angabe des Tages des jeweiligen Eintrags zitiert. Über Strobels Haltung zum Hause Wagner und Wieland Wagner im Speziellen erfahren die Leser nichts.

Erfunden: Ein uralter Hausmeister, der durch den Hinterbühnenbereich des Nürnberger Opernhauses geistert

Erfunden in seinem Buch, so Anno Mungen habe er lediglich eine kleine Nebenfigur, „um zu ermöglichen, dass man Sprüche über Philosophen und Arbeiter zu lesen bekommt“ (unter dem Eintrag „schwache Philosophen und starke Männer“ (S148). Gleich einem Geist, so Mungen, habe er einen alten Mann, einen uralten Hausmeister, durch den Hinterbühnenbereich des Nürnberger Opernhauses „durch die endlos anmutenden Gänge der Hinterbühne „schlurfen lassen, „um nachzuschauen, ob alles in Ordnung ist“ (…) „als vieles schon verloren scheint“. 1945. „Das Nürnberger Opernhaus liegt Ende April gespenstisch da. Der Spielbetrieb ist seit über sieben Monaten ausgesetzt.“ (S.148).

Da ist, am 14. April 1945, Bayreuth längst gefallen. Unter dem Eintrag „Kampf um weiße Fahnen“ (S.146) heißt es: „Die Amerikaner sind da, die Wagners, die Lafferentz‘ und die Strobels, alle weg. Im nahen Fichtelgebirge stellt Strobel fest: ‚Völlige Auflösung der der Wehrmacht.’“ Die Familien suchen das Weite. Zunächst geht es mit einem Volkswagen nach Überlingen. Dann soll es über den Bodensee in die Schweiz gehen. Doch schweizerische Grenzbeamte weisen sie zurück. Endzeitstimmung. Schlussgesang. Götterdämmerung.

Ob der Versuch des Theater- und Musikwissenschaftlers Mungen, der betreffs seines vorliegenden Buches als Theaterhistoriker ans Werk gegangen ist, die Person Wieland Wagner in einem vergleichsweise sehr kurzem Zeitraum (1941 bis 1945) ausreichend kenntlich zu machen, mögen manche Leserinnen und Leser eventuell infrage stellen. Andererseits ist nicht abzustreiten, dass eben gerade jene von Mungen beleuchteten Jahre prägend wie entscheidend für den Werdegang Wieland Wagners gewesen waren. Und ganz offenbar war er äußerst ehrgeizig, mit dem Ziel im Auge, die Leitung der Wagner-Festspiele zu erlangen. Als erheblichen Ansporn dürften ihm sicherlich die Bemühungen Adolf Hitlers um ihn und dessen hohes Interesse an seinem Fortkommen gedient haben. Angetrieben betreffs der enormen Förderung Wieland Wagners war Hitler selbst gewiss davon, dass er diesen ganz offenbar als Ersatz für einen Sohn betrachtete, welchen er nicht hatte.

Unter „Freundschaftsversprechen“ (S.23) erfahren wir: „Hitler ist Wagners Mentor. Der Diktator verfolgt einen barock anmutenden Hang, das Denkbare in Architektur, Theater, Malerei und Städtebau mit sich selbst im Mittelpunkt zu inszenieren, es ist Teil seiner Politik. Wagner kennt Hitler als den Freund der Eltern von klein an und erbietet ihm Respekt. Der engagiert sich für ihn, und es ist nicht wenig, was Hitler für Wagner tut. Er schanzt ihm Aufträge zu, stellt ihn vom Militär frei und lässt sich von ihm fotografieren. Letzteres ist deshalb nicht gering einzuschätzen, weil Hitler die Bildrechte an seinem Konterfei sonst nur Heinrich Hoffmann einräumt. Wagner aber darf seine Hitlerfotos vermarkten.“

Ein damals anscheinend gutes Geschäft: „Sie bringen dem Siebzehnjährigen im Mai 1934 einen Verdienst von 952,30 Mark, im Juni sind es 900,60 Mark und im August 681,68 Mark. Der Wert der Reichsmark damals entspricht heute dem von vier bis fünf Euro“, weiß Anno Mungen (S.23) zu berichten.

Ein durchaus interessantes Buch, das Einblicke in Familiengeschichten, Theaterarbeit (auch über Bayreuth hinaus: auch die Opernhäuser von Altenburg und Nürnberg betreffend) und natürlich ebenfalls über politische Umstände jener vom Autor in den Fokus genommenen Zeit vermittelt. Es kommt m. E. aufgrund der vom Autor verwendeten tagebuchartigen Gliederung des Buches zwar mit komprimiert verpackten Fakten daher, was ein Ausschweifen vermeidet, dennoch aber detailreich ist. Andererseits aber hat man dem Lesefluss so seine Schwierigkeiten. So kann man als Leser das Gefühl bekommen, etwas Ab- oder Zerhacktes zusammensetzen zu müssen, es irgendwie zu verbinden. Was schon auch gelingt, aber ein gewisses Holpern dennoch nicht ganz zu vermeiden vermag.

Wer mehr über die Wagners im Speziellen erfahren will, muss selbstredend zu anderer, zusätzlicher Literatur greifen, um sein Bild über die gewiss interessante Familie zu vervollkommnen. Auch über Wieland Wagner selbst möchte man sicherlich (noch) mehr wissen. Besonders über sein Wirken nach 1945 wären umfassendere Informationen durchaus wünschenswert.

Auch könnte Mungens Buch nebenbei dazu anregen, sich mit dem hier auf dem Schutzumschlag seines Buches blass unter weißer Schrift kaum sichtbaren Wolfgang Wagner, dem Bruder Wielands, genauer zu befassen. Ich sehe ihn noch immer vor mir, wie er mit seinem weißem Haar zur Bühnentür des Dortmunder Opernhauses kurz vor Vorstellungsbeginn hereinkommt, freundlich die Anwesenden Bühnentechniker und Beleuchter grüßt und den Inspizienten an seinem Platz auf der rechten Bühnenseite mit Handschlag begrüßt, um dann mit seiner Begleitung in Richtung Zuschauerraum zu entschwinden. Er ließ es sich damals nicht nehmen, Wagner-Inszenierungen im Rahmen des „Rings“, wenn sie in Dortmund auf die Bühne kamen, anzuschauen.

Hinweis: Ich empfehle Interessenten das ebenfalls im Westend Verlag erschienene Buch „Wagner, ein ewig deutsches Ärgernis“ von Moshe Zuckermann.

Anno Mungen

Hier gilt’s der Kunst

Wieland Wagner 1941-1945

Erscheinungstermin: 05.07.2021
Seitenzahl: 160
Ausstattung: Hardcover mit Schutzumschlag
Artikelnummer: 9783864893292
  • 18,00 Euro

Unterstützen mit einem Abohttps://www.patreon.com/frischesicht

Unterstützen Sie uns mit einer Spende: IBAN NL17BUNQ2045314502

Verwendungszweck: Spende

Sie können uns auch mit Bitcoin unterstützen

Dieses Bild hat ein leeres Alt-Attribut. Der Dateiname ist bitcoin-qr-logo.jpg
Dieses Bild hat ein leeres Alt-Attribut. Der Dateiname ist Bildschirmfoto-2020-12-09-um-19.13.38.png

Bitcoin Adresse: 35kAeRvsv5o6y3rCbWRUpsjw9dGyjBmPAp

Wir bedanken uns für Ihr Vertrauen und Ihre Unterstützung des freien Journalismus

————————

Die Redaktion ist um das Abbilden eines breiten Meinungsspektrums bemüht.

Meinungsartikel und Gastbeiträge müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln!

Dieses Bild hat ein leeres Alt-Attribut. Der Dateiname ist shutterstock_1030401787.jpg

Dieses Werk ist unter einer Creative Commons-Lizenz 

(Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbeitungen 4.0 International) lizenziert. Unter Einhaltung der Lizenzbedingungen dürfen Sie es verbreiten und vervielfältigen.